Die meisten Adventure-Fans hätten wohl bisher zweifellos Telltale Games als die derzeitigen Könige des Genres angeführt – wäre da im letzten Jahr nicht die Veröffentlichung von „Life is Strange“ gewesen. Gefühlt konnte seit „The Secret of Monkey Island“ kein Adventure mehr für soviel Aufmerksamkeit sorgen, und weil das Ganze so unglaublich gut ankam, gibt es jetzt auch die Retail-Variante „Life is Strange – Limited Edition“. Was diese zu bieten hat und ob sich der Kauf für Euch lohnt, erfahrt Ihr in unserem Test.
Wie viel Retail hättens gern?
„Life is Strange“ hat sich über die Maßen gut verkauft – trotzdem gibt es eine Menge Spieler, die keine Lust auf Digitalkäufe und vor allem eine Erscheinungsweise in Episodenform haben. Letzteres hat uns bei unserem ursprünglichen Test tatsächlich ziemlich gefuchst: Anfänglich versprach man uns eine Episode alle sechs Wochen, am Ende mussten wir beine drei Monate auf das Finale warten. Sobald man sich so richtig in eine Episode verbissen hat, ist sie vorüber und man durfte ewig auf Nachschub warten.
Diese Problematik fällt bei „Life is Strange – Limited Edition“ glücklicherweise flach. Nicht nur gibt es alle fünf Episoden auf einen Haufen, man hat mittlerweile auch einen Patch veröffentlicht, der dem Spiel endlich deutsche Untertitel verleiht. Das ist natürlich Gold wert für all diejenigen, die sich mit der englischen Sprache in Wort und Schrift ein wenig schwer tun. Als Bonus gibt es noch ein 32-seitiges Artbook, den Soundtrack sowie Entwicklerkommentare mit dazu. Das entschädigt dann für den etwas höheren Kaufpreis gegenüber der Digitalversion.
Schmetterlings-Effekt
„Life is Strange“ erzählt uns die Geschichte von Max Caulfield, die einige Jahre nach dem Wegzug aus Arcadia Bay in ihre Heimat zurückkehrt – und alles völlig verändert vorfindet. Ihr beste Freundin Chloe aus Kindertagen hat sich zu einem ziemlich undurchsichtigen jungen Fräulein verändert, in der Kunstschule findet sie sich in Sachen Popularität zwischen den Welten wieder – und zu allem Überfluss hat sie eine eigenartige Superkraft festgestellt: Sie kann die Zeit zurückdrehen. Das kommt vor allem deshalb wie gerufen, da ihr erstes Zusammentreffen mit Chloe in deren Tod endet. Was als einfacher Rettungsversuch beginnt, verändert die Zukunft nachhaltig – und Max kommt aus dem Reparieren der Nebenwirkungen kaum noch heraus.
Ähnlich wie es sich die Kollegen von Telltale Games auf die Fahnen schreiben, behauptet auch „Life is Strange“, die Entscheidungen, die wir treffen, würden den Spielverlauf nachhaltig verändern. Und genau wie bei anderen Titeln mit diesem Versprechen trifft das bei genauerer Betrachtung nur oberflächlich zu. Stirbt eine Person etwa, wird man zwar immer mal wieder daran erinnert, dass sie nicht mehr da ist, es verändert aber den Spielverlauf nicht maßgeblich, man muss deshalb keine anderen Rätsel lösen oder unterschiedliche Situationen durchleben. Klar, so etwas ist für Entwickler auch nur eingeschränkt praktikabel, wer möchte schon viel Zeit auf Handlungsstränge verschwenden, die am Ende niemand wirklich einschlägt?
Hängen lassen
Wir müssen es zugeben: Anfänglich hielten wir „Life is Strange“ für eine Art Emo-Adventure. Ein Mädchen, das viel zu viel über sich und ihre Rolle in der Welt nachdenkt, die beinahe bilderbuchmäßig im Fegefeuer zwischen den absoluten Losern und den populären Kids gefangen ist und keine Ahnung hat, in welche Richtung das Leben sie führt. Sie ist traurig, nachdenklich und anders als ihre Altersgenossen. Da kommt man sich als Spieler, der die Pubertät schon vor 20 Jahren hinter sich gebracht hat, natürlich ein wenig fehlplatziert vor. Selbst die unheimlich dichte Atmosphäre von Anfang an (ständig bekommt man Nachrichten auf das Telefon, es gibt Tagebucheinträge, man kann Musik hören, Mails lesen und und und…) kann über diese Irritationen nicht hinwegtäuschen.
Das ist aber eindeutig zu kurz gedacht, denn schon in der zweiten Episode wird klar, wie viel intelligente Handlung und Hintergrund tatsächlich in „Life is Strange“ steckt. Es gibt große Gefühle, schwierige Entscheidungen und vor allen Dingen Cliffhanger, die große amerikanische Serienproduktionen das Fürchten lehren könnten. Spätestens da packt es dann auch ältere Semester, und im Fall von „Life is Strange – Limited Edition“ muss man glücklicherweise keine zwei oder drei Monate auf Nachschub warten.
Wie abenteuerlich!
Das Genre der Adventures hat sich in den letzten 20-25 Jahren deutlich verändert. Heute geht es viel mehr darum, in der Story einzutauchen, als tatsächlich irgendwelche Rätsel zu lösen. Aus Sicht der Spieldesigner ist das natürlich nur logisch, denn starre Rätselkonstrukte (wieso muss man beispielsweise ein Ventil ausgerechnet durch die Hebelwirkung eines Besenstiels lösen, wenn zwei anwesende Charaktere locker stark genug wären, um das Ganze händisch zu erledigen?) mögen zwar „oldskool“ sein, gleichzeitig bergen sie aber auch einiges Frustpotential.
Und so beschränken sich die echten Rätsel auch bei „Life is Strange“ eher auf ein Minimum, selbst als Genre-Neuling wird man wohl kaum in Schwierigkeiten kommen. Dafür sind die Herausforderungen insgesamt abwechslungsreich: Kleinere Rätsel, Suchaufgaben, Schleichpassagen, Gedächtnisherausforderungen und dergleichen mehr warten auf den Spieler und lassen keine Langeweile aufkommen.
Ganz vorne
Keine Frage: Im letzten Jahr gab es kein spannenderes Abenteuer als „Life is Strange“ – und ob in diesem Jahr ein Titel an diese Leistung auch nur annähernd herankommt, ist fraglich. Klar: Die Teeniedrama-Thematik passt sicherlich nicht jedem Spieler gleichermaßen in den Kram. Das tritt aber von Episode zu Episode mehr in den Hintergrund, in Arcadia Bay gibt es ähnlich finstere Geheimnisse wie in „Twin Peaks“ und die Atmosphäre dürfte in diesem Genre nahezu unerreicht sein.
Wer also Lust auf ein ungewöhnlich gutes Adventure hat oder einfach mal sehen möchte, wie weit Storytelling in aktuellen Videospielen gereift ist, bekommt hier eine fantastische Möglichkeit geboten. Ob man als Nicht-Fan unbedingt die Limited Edition von „Life is Strange“ mit Artbook und Soundtrack braucht, ist natürlich fraglich, zumal man die fünf Episoden in Digitalform günstiger bekommt. Aber als schickes Werk fürs Regal zusammen mit sinnvollem Zusatzmaterial ist „Life is Strange – Limited Edition“ sein Geld mehr als wert.
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