Wenn man seit vielen Jahren eine Spielereihe testet, die man im privaten Bereich eigentlich gar nicht spielen würde, entwickelt man ein besonderes Verhältnis zur Materie – vielleicht freundet man sich sogar mit der Marke oder dem Genre an. So lief es definitiv bei den „Madden“-Games, die ich mir im Normalfall niemals gekauft hätte, da mir American Football fremder als Swahili war. Man findet irgendwann einen Einstieg und ist gespannt, was der jeweils jüngste Ableger zu bieten hat. „Madden NFL 18“ bringt dabei einige Neuerungen, die unser Test näher beleuchtet.
Little Joe kommt groß raus
EA Sports hat verstanden, dass ein Story-Modus in ihren Sport-Games ein echter Gewinn ist – und nach der FIFA-Reihe ist in diesem Jahr auch „Madden NFL 18“ an der Reihe. In „Longshot“ – so der Name des Ganzen – verfolgen wir die Geschichte von Devin Wade, dessen Ziel es ist, Quarterback in der NFL zu werden. Dabei hat man einen recht interessanten Ansatz gewählt: Football spielen wir außerhalb der Story mehr als genug, deshalb hat man den eigentlichen Partien in „Longshot“ einen eher untergeordneten Platz eingeräumt.
Der wirklich größte Teil der Story spielt sich in Form eines Adventures ab – der Vergleich zu den Telltale-Spielen ist gar nicht so unpassend. Fünf bis sechs Stunden lang stellt man uns vor teilweise ganz schön schwere Entscheidungen. Dabei wird zwar der Eindruck erweckt, diese hätten weitreichende Auswirkungen, tatsächlich hält sich das aber in eher engen Grenzen. Ein Problem ist das aber nun wirklich nicht, im Gegenteil: Die Thematik eignet sich ganz hervorragend für eine solche Story, wie auch schon Fernsehserien wie „Friday Night Lights“ bewiesen haben.
Und rein mit dem neuen Motor
Davon abgesehen gibt es noch eine weitere maßgebliche Neuerung – und die befindet sich unter der Haube. Die „Ignite“-Engine, die man vor einigen Jahren mit viel Bohei als neuen Heiland im Sport-Spiele-Business auserkoren hat, ging in Rente und wurde gegen die „Frostbite“-Engine ausgetauscht. Die selbe Wandlung hat die FIFA-Reihe als Sport-Flaggschiff bereits hinter sich, und dort kam das dem allgemeinen Spielerlebnis auch durchaus zu gute, wir wir fanden.
Und so ist es nicht besonders überraschend, dass jetzt auch bei „Madden NFL 18“ alles eine Ecke besser aussieht, als es noch beim Vorgänger der Fall war. Besonders die Charaktermodelle profitieren unheimlich vom Umstieg auf die neue „Nummer Eins“-Engine von Electronic Arts. Hier und da gibt es natürlich immer noch eine Kleinigkeit zu bemängeln, letztendlich hat man aber wieder unglaubliche „Production Values“ in die Präsentation gesteckt – und zwar auch in die von „Longshot“, bei dem namhafte Schauspieler wie Barry Corbin und nicht minder berühmte Sportler wie Dan Marino zum Einsatz kommen.
Alte Bekannte
Während man mit Story-Modus und Engine-Wechsel optisch sowie in Sachen Umfang völlig neue Qualitäten an den Tag legt, sieht es beim Gameplay selbst, also der reinen Football-Mechanik, etwas konservativer aus. Ein paar kleinere Dinge wurden verbessert oder umgestellt, eine Evolution oder gar Revolution ist aber kaum festzustellen. Angesichts der ziemlich substantiellen Neuerungen (Story-Modus, Engine-Wechsel) war davon aber auch nicht auszugehen.
Das alles ist aber – und das müssen wir mit Nachdruck sagen – kein ernsthafter Mangel. In den letzten Jahren konnte die „Madden“-Reihe so viel Boden gut machen, so viele größere und kleinere Neuerungen am Gameplay umsetzen, dass dieses auf jeden Fall noch solide genug ist, um dieses Jahr nicht negativ aufzufallen. Man darf davon ausgehen, dass es im nächsten Jahr wieder bedeutsamere Neuansätze beim Gameplay geben wird.
Wie immer: Fernsehreif
Es dürfte niemanden ernsthaft überraschen: In Sachen Präsentation, Atmosphäre und Grafik hat „Madden NFL 18“ alles richtig gemacht. Man liefert genau das, was die Spieler sich erhoffen – ein wenig Atmosphäre wie am Matchday vor dem TV, aber auch das Gefühl, dass man mittendrin im Geschehen ist. Die Leute von EA Sports haben in den letzten zehn Jahren einfach ein gutes Gespür dafür entwickelt, wie man die Zocker so richtig abholt und dorthin bringt, wo sie in einem Spiel sein wollen – das muss man bei aller jährlichen Kritik wegen der langsamen Evolution vieler Sporttitel auch einfach mal offen aussprechen.
Und natürlich enttäuscht auch die Soundkulisse nicht – wenngleich man natürlich auch in diesem Jahr „nur“ eine englische Originalsprachausgabe bekommt. Das ist bei American Football kaum ein Mangel, deutsche Untertitel/Menüs hätten es dann aber dennoch sein dürfen. Ein echter Gewinn ist wieder einmal der Lizenzsoundtrack, der von Action Bronson über Kendrick Lamar bis hin Imagine Dragons für jeden Geschmack das Passende im Angebot hat.
Die üblichen Verdächtigen
Mit dabei sind an der Modi-Front natürlich auch wieder der Franchise-Modus und das „Madden Ultimate Team“. Da hat sich jetzt auch nichts Grundlegendes getan, allerdings gibt es jetzt auch noch Charaktere des „Longshot“-Storymodus und entsprechende Herausforderungen mit im Paket – sozusagen ein kleiner Bonus, der die Storykampagne ein wenig unterstreicht und ihr etwas mehr Wichtigkeit verleiht.
Und da sind wir auch schon wieder an einem Scheideweg angelangt: Ganz klar, uns hat „Longshot“ erstaunlich gut gefallen, obwohl – oder vielleicht auch gerade weil – man das Ganze nicht als unterhaltsames Tutorial verstanden wissen will, sondern als einen Spielmodus, der sich vom üblichen Football-Einerlei wohltuend abhebt. Es gibt sie aber, die Spieler, die überhaupt nicht verstehen, wieso man Adventure-Elemente in einen Sporttitel packt, und auch diese Haltung können wir recht gut nachvollziehen.
Und so ist es im Zweifelsfall natürlich fraglich, ob man sich „Madden NFL 18“ wirklich kaufen muss, wenn man an so einer Story überhaupt nichts findet. Sind die Neuerungen beim Gameplay und die frischen Team- und Spielerdaten wirklich Grund genug, um den Kauf zu rechtfertigen oder tut es auch der günstigere Vorgänger? Das ist die Frage, die wir leider nicht pauschal beantworten können. Die große Neuerung ist der Story, um diese herum ist „Madden NFL 18“ aufgebaut.
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