So wirklich leicht hatten es die Entwickler der Warhorse Studios nun wirklich nicht damit, ihr „Kingdom Come: Deliverance“ aus der Taufe zu heben. Es fand sich kein Publisher für die Idee, über den Umweg des Crowdfundings musste man zunächst beweisen, dass es ein ausreichend großes Publikum für das Projekt gibt. Von Anfang an war das Interesse der Spieler groß – und jetzt muss man zeigen, was dahinter steckt. Wir haben uns das Rollenspiel für Euch angeschaut, was wir davon denken, erfahrt Ihr in unserem Test.
Bleibt mir weg mit Fantasy!
Für manchen Rollenspielfreund mag „Kingdom Come: Deliverance“ schon rein konzeptionell eher uninteressant erscheinen, schließlich verzichten die Entwickler der Warhorse Studios ganz bewusst auf viele Elemente, die klassische Rollenspiele ausmachen. Es gibt keine Zauberer, keine Drachen, keine Orks und vergleichbare Fabelwesen. Und auch bei der Story bleibt man konservativ und wählt eine historische Vorlage aus dem Böhmen des fünfzehnten Jahrhunderts.
Ganz konkret übernehmen wir die Rolle von Heinrich, der als Sohn eines Schmiedes ja nicht unbedingt ein klassisches Abbild eines glänzenden Helden darstellt. Ein Krieg bricht aus, und Heinrich muss mit eigenen Augen ansehen, wie seine Eltern während eines großen Massakers getötet werden. Selbst wenn sie den jungen Mann immer mal wieder mit Arbeit und anderen Aufgaben geärgert haben, sinnt er trotzdem auf Rache. Wie erwähnt ist Heinrich eher ein Ottonormalbürger als ein Held, aber immerhin bleiben ihm Gefechte gegen feuerspuckende Drachen und unmenschlich starken Orks erspart.
Ein Wort der Warnung
Bevor wir nun mit unseren Eindrücken zu „Kingdom Come: Deliverance“ weitermachen, wollen wir auch gleich noch ein wichtiges Thema ansprechen – und zwar die Bugs, die dwm Spiel auch eine Woche nach dem Launch in großer Zahl das Leben schwer machen. Zunächst: Es ist nicht so, dass der Titel völlig unspielbar wäre, wir mussten uns aber dennoch unzählige Male fragen, wie solche Bugs an der Qualitätssicherung vorbeihuschen konnten.
Dabei geht es nicht nur um rein technische Probleme wie aufploppende Objekte oder zu spät geladene Texturen – auch gibt es rein konzeptionelle Dinge, die bei Regelwerk und Balancing nicht so ganz hinhauen. Als gutes Beispiel kann man hier etwa die Sache mit dem Diebstahl anführen: Bisweilen wird man von Wachen auf gestohlene Gegenstände durchsucht – nach Ankündigung. Geht man ins Inventar und wirft der Wache den geklauten Krempel direkt vor die Füße, trägt man nichts Illegales mehr bei sich, behält die weiße Weste und kann nach der Leibesvisite das Diebesgut wieder einsammeln.
Wenn man nicht entsprechend leidensfähig ist, sollte man das Spielen von „Kingdom Come: Deliverance“ lieber um ein paar Wochen, besser sogar um ein paar Monate in die Zukunft verschieben. Zwar sind die ersten Patches veröffentlicht und weitere sollen folgen, aber ein derartig komplexes Spiel mit einer solchen Fülle an (häufig kleineren) Bugs kann man eben auch nicht in 14 Tagen annähernd fehlerfrei bekommen.
Licht und Schatten überall
Ganz klar, teilweise sind wir schlicht und ergreifend begeistert von der Liebe zum Detail, die die Warhorse Studios bei der Entwicklung von „Kingdom Come: Deliverance“ walten ließen. Das beginnt schon damit, dass man sozusagen als ein Niemand anfängt und sich auf dem Weg zur Rache in seinen Fähigkeiten stetig verbessert – bis man eventuell mal soweit ist, um seinen Plan in die Tat umzusetzen. Und obwohl es viele Spieler unheimlich nerven wird – wir fanden es erfrischend realistisch, dass Quests mit der Zeit „verfallen“, es also Zeitlimits gibt.
Aber gerade das beißt sich mit dem Speichersystem. Gespeichert wird grundsätzlich nur an teilweise sehr ungünstig gelegenen Speicherpunkten, durch einen recht teuren Speicher-Schnaps (ja, wirklich) und durch Schlafen. Letzteres ist natürlich die günstigste Alternative, dabei geht aber Zeit flöten – Ihr ahnt schon, worauf wir hinaus wollen: Man verpennt auch schnell mal eine Quest. Das ist natürlich umso ärgerlicher, wenn man aus (nicht ganz unbegründeter) Furcht vor Abstürzen häufig abspeichert.
Fast wie in echt… Oder?
In Zeiten, in denen RPGs mit riesigen Spielwelten glänzen wollen, besinnt sich „Kingdom Come: Deliverance“ auf das Wesentliche und präsentiert uns ein vergleichsweise überschaubares Areal. Das ist aber abwechslungsreich und vor allem liebevoll gestaltet und gerade in den „Ballungsgebieten“ recht gut belebt, so dass wir geneigt sind, diese Entscheidung als „goldrichtig“ zu bezeichnen. Für einen Spieler darf eigentlich nur das Ergebnis zählen, wir finden es aber nachvollziehbar, dass die Warhorse Studios aufgrund überschaubarer Budgets keine neuen Standards setzen konnten.
Und so darf man sich – je nach dem Stand, den man bei den verschiedenen Bewohnern der Spielwelt hat – darüber freuen, mehr oder weniger erfreute Gesichter bei seinem Auftritt zu sehen. Man wird gegrüßt und hat den Eindruck, dass man wirklich ein wichtiger Teil dieser Gemeinschaft ist. Zusammen mit dem starken Charaktersystem zeigt das sehr gut, wie viel die Entwickler bei der reinen Rollenspielmechanik richtig gemacht haben.
Mit dem Schwert unterwegs
Und auch die Kampfmechanik muss erwähnt werden, denn diese lässt beinahe sämtliche Actionelemente aus anderen Rollenspielen vermissen. Ihr habt zwei oder gar mehr Gegner an der Backe? Na dann viel Glück, denn das läuft nicht ab wie in guten alten Karate-Filmen aus den 80ern, in denen jeder Widersacher mit dem Angreifen darauf wartet, dass er an der Reihe ist („Jean-Claude Van Johnson“ lässt grüßen). Die Kerle wollen Euch töten und haben in der Gruppe auch gute Chancen, damit durchzukommen.
Das ist der Realismus von „Kingdom Come: Deliverance“, der es vielen Spielern nicht immer leicht macht, hier mit den über die Jahre antrainierten Verhaltensweisen aus anderen Rollenspielen zurechtzukommen. Die Warhorse Studios haben sich aber den Anspruch auf Realismus auf die Fahnen geschrieben. und das muss eben nicht immer schön und hochglänzend sein. Dem kann man etwas abgewinnen oder auch nicht – es ist aber definitiv eine mutige Design-Entscheidung gewesen.
Es hätte so schön sein können…
Die Überschrift sagt eigentlich alles: „Kingdom Come: Deliverance“ hat für uns das Potential zu einem der ganz großen Rollenspiele dieser Tage – leider waren die Pläne dann offenbar doch ein wenig zu ambitioniert. Nicht generell, aber zumindest in Hinsicht auf die Deadline, denn wie wir bereits erwähnt haben, machen die Bugs viel vom Spielspaß zunichte. Hier erhoffen wir uns viel Milderung in den nächsten Wochen und Monaten.
Und so bleibt noch der Ausblick auf eine etwas rosigere Zukunft für das Rollenspiel. Gegenwärtig solltet Ihr eher frustresistent sein, wenn Ihr plant, direkt mit dem Zocken anzufangen. Möglicherweise ruiniert Ihr Euch dadurch auch den Spielspaß. Wenn wir keine unmittelbare Kaufempfehlung aussprechen möchten, begründen wir dies in der Regel mit einem zu hohen Preis für das Gebotene. Das trifft hier nicht zu, denn „Kingdom Come: Deliverance“ ist selbst zum Launch zehn Euro günstiger als andere Vollpreis-Games und hat eine Menge Umfang zu bieten. Wir versagen dem Spiel die Kaufempfehlung einfach nur auf Grundlage der Bugs, die hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
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