Die Japaner sind von ihrer Vergangenheit besessen – kein Jahr vergeht, ohne dass wir mittelalterliche Massenschlachten mit Samurai schlagen dürfen, ohne dass wir einen Einblick in verschiedene Perioden der japanischen Geschichte erhalten. Das in Kürze erscheinende „NioH“ besitzt ebenfalls einen historischen Hintergrund, ist aber keineswegs so trocken wie die Geschichtsstunden unserer Schulzeit. Ob das, was Team Ninja uns hier vorsetzt, auch westliche Geschmäcker trifft, erfahrt Ihr in unserem Test.
Ein ungewöhnlicher Samurai
„NioH“ (zu deutsch: Gütiger König) spielt während der Sengoku-Periode im frühen siebzehnten Jahrhundert und erzählt die Geschichte von William. Komischer Name für japanische Verhältnisse, oder? Stimmt, William ist nämlich gar kein Japaner, sondern Engländer. Und hier kommen wir auch schon zur historischen Vorlage, denn William basiert auf William Adams, der tatsächlich als erster Mensch aus dem Westen zum Samurai wurde. Dessen Geschichte wurde schon unzählige Male erzählt, bis heute gilt William Adams als einer der einflussreichsten „Langnasen“ der japanischen Geschichte.
William jagt seinen Erzfeind durch die ganze Welt – und landet in Japan. Dort findet er in Tokugawa Ieyasu und Hattori Hanzo Verbündete, die den gleichen Gegner haben. Edward Kelley, so heißt der Kerl, profitiert vom Krieg, der ganz Japan heimsucht – und er facht diesen sogar noch an. William wird zum Samurai ausgebildet und macht sich nun auf die Jagd nach Kelley.
Verhext nochmal!
Dabei ist „NioH“ aber keineswegs trocken und hält sich zu dicht an die historische Vorlage: Der Gegenspieler Edward Kelley nutzt zum Durchsetzen seiner Interessen etwa Magie – nur damit Ihr mal eine grobe Vorstellung habt, wie der Hase hier läuft. Letztendlich spielt das aber keine große Rolle, in erster Linie geht es um packende Kämpfe und nicht um die Story. Und das haben die Mannen von Team Ninja wieder einmal meisterlich verwirklicht.
In Third-Person-Perspektive vermöbeln wir die Gegner, dabei darf man jetzt nicht die vergleichsweise simple Kampfmechanik von „Ninja Gaiden“ erwarten. Die Komplexität der Mechanik von „NioH“ ist immens – und zwar in erster Linie deshalb, weil man drei verschiedene Kampfhaltungen („Stances“) eingebaut hat. Die hohe Haltung ermöglicht kraftvolle Angriffe, die allerdings sehr viel Ki verbrauchen. Die niedrige Haltung hingegen erlaubt schnelle, zahlreiche Angriffe, die sich nicht stark auf das Ki-Level auswirken – aber eben auch vergleichsweise schwach sind. Die mittlere Haltung schließlich bietet ein ausgewogenes Verhältnis, je nach Gegnertyp bieten sich verschiedene Haltungen an.
Und dabei ist man nicht auf einen einzelnen Waffentyp beschränkt: Während man sich für Nahkämpfe je nach Vorliebe auf verschiedene Waffengattungen (Katana, Speer, Axt, Bogen und dergleichen mehr) spezialisieren kann (der Wechsel zu anderen ist aber durchaus möglich), kann man auch gleichzeitig eine Fernkampfwaffe mit sich herumtragen. Das gibt den Kämpfen noch weitere Tiefe, man kann – sofern man noch Pfeile bei sich trägt – auch auf Nummer sicher aus der Distanz angreifen.
Verdammte Schreinerei!
Die Kampfmechanik kann also durchaus überzeugen, doch was hat das Spiel sonst zu bieten? Nun, es ist wohl keine Übertreibung, wenn wir „NioH“ eine ideologische Nähe zur „Souls“-Reihe konstatieren. Bestes Beispiel hierfür ist das Erfahrungssystem: An Schreinen können wir Erfahrungspunkte („Amrita“) speichern und in Fähigkeiten und Stats umwandeln. Wird William auf seinem Abenteuer bezwungen, verliert er die Erfahrungspunkte, die er aktuell bei sich trägt. Alles bekannte Muster, Team Ninja hat das aber noch um Geisterwächter erweitert, die mit und rund um das Amrita interagieren.
Doch das ist nicht der einzige Punkt, an dem „NioH“ sich an bekannten und bewährten Spielprinzipien bedient. Ähnlich wie bei „Diablo“ und Konsorten gibt es ein ausgedehntes Ausrüstungssystem, das uns immer weiter antreibt, die besten Items zu suchen oder anfertigen zu lassen. Wer für so etwas empfänglich ist, wird an „NioH“ seine wahre Freude haben.
Warm angezogen
Die Hommage an die „Souls“-Games hört an dieser Stelle aber noch nicht auf: „NioH“ ist – und das kann man ohne Übertreibung sagen – bockschwer. Vielleicht erreicht man nicht unbedingt den Schwierigkeitsgrad von „Dark Souls“, man wird sich aber dennoch auf zahlreiche Tode vorbereiten müssen. Gleichermaßen gilt aber auch, dass es unheimlich befriedigend ist, wenn man nach vorheriger Niederlage gestärkt zurückkehrt und einen einst übermächtigen Gegner in die Schranken weist. Hier kann außerdem die Multiplayer-Komponente von „NioH“ zum Tragen kommen – es ist nämlich möglich, weitere Teilnehmer ins Spiel zu rufen, wo sie unterstützend wirken können.
Japanische Verhältnisse
Ein absoluter Höhepunkt in Sachen „Grafik“ ist „NioH“ hingegen leider nicht. Insgesamt ist die Aufmachung als recht solide zu bezeichnen, es gibt aber immer wieder Ecken und Kanten, die noch etwas Überarbeitung hätten verträgen können. Vor allem sind es immer wieder verschiedene Texturen, die den Gesamteindruck nach unten ziehen: Unscharf, matschig, eher niedrig aufgelöst. Man lässt uns immerhin die Wahl: Wollen wir in „guter“ Optik bei 30 FPS oder in reduzierter Auflösung bei 60 FPS spielen? Das dürfte in dieser Form noch nicht bei vielen Konsolen-Games zum Einsatz gekommen sein.
Bei der Beschallung hat man aber fast alles richtig gemacht: Der Soundtrack ist atemberaubend gut und bringt die Atmosphäre von „NioH“ auf den Punkt. Als deutscher Spieler muss man allerdings mit einer Einschränkung leben: Eine Übersetzung der Synchronisation in unsere schöne Sprache fand nicht statt – das hat aber auch einen Hintergrund. Durch die Multi-Kulti-Natur von „NioH“ bedingt sprechen die westlichen Charaktere englisch und die japanischen eben… Genau, japanisch. Und das passt ja dann auch sehr gut zusammen, atmosphärisch stimmiger wirkt es allerdings, wenn man wenigstens die englischen Synchro-Parts versteht.
Kein Samurai-Einerlei
„NioH“ ist ein beachtliches Spiel geworden – hier gilt wohl „was lange währt wird endlich gut“. Vielleicht mag es bei der Technik ein paar Schwächen geben, und möglicherweise findet der eine oder andere Spieler, der Verzicht auf Magie und Geistern hätte dem Spiel gut zu Gesicht gestanden, insgesamt hat Team Ninja aber ein bemerkenswert gutes und stimmiges Spiel abgeliefert. Wer wenig Angst vor Herausforderungen hat, ist hier sicherlich gut aufgehoben.
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